Massenkundgebung mit Renate Hartwig im Olympiastadion
Der Protest gegen die Zerstörung des Gesundheitswesens
Samstag, 07.06.2008, München,
Olympiastadion. Renate Hartwig betritt die
Bühne. Ihr gegenüber – circa 25.000 Menschen
mit Transparenten und Spruchbändern. Die
Großveranstaltung für den Protest gegen die
Gesundheitsreform ist schon jetzt ein voller
Erfolg. Renate Hartwig, Autorin von „Der
verkaufte Patient“, hat für einen Tag das
Olympiastadion gemietet und verfolgt dabei
vor allem ein Ziel: den Schulterschluss
zwischen Arzt und Patient, die Aufklärung
der Bevölkerung über die Pläne der
Gesundheitspolitik. Fachliche und moralische
Unterstützung erhält sie auf der Bühne von
Dr. Wolfgang Hoppenthaller, Vorsitzender des
Bayerischen Hausärzteverbands,
Benediktinerpater Dr. Anselm Grün und Dr.
Jürgen Arnhardt, Landarzt aus Höchstädt.
Der Verkauf des Gesundheitssystems
Wogegen der Protest sich wendet, ist kein
Geheimnis. Doch diskutiert wurde das Problem
bisher fast nur im kleinen Mediziner-Kreis.
Das Gesundheitswesen steht auf dem
Prüfstand. Der Staat hat kein Geld mehr und
will das Gesundheitssystem verkaufen. Schon
jetzt werden immer mehr
privatwirtschaftliche Unternehmen in die
Finanzierung mit eingebunden. 2005 schloss
die AOK mit der Ventario GmbH einen Vertrag
zur Behandlung herzkranker Patienten. Seit
2007 offeriert der amerikanische
Gesundheitsdienstleister Healthways seine
Dienstleistungen Versicherten deutscher
Krankenkassen.
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Callcenter ersetzen Hausärzte
„Wir kämpfen um unsere Hausärzte“ ist eine
der wichtigen Parolen der Veranstaltung im
Olympiastadion. Hat der Hausarzt ausgedient?
Zukunftsmusik oder bereits Realität?
Healthways ist der größte amerikanische
Anbieter von Betreuungsprogrammen für
chronisch Kranke. Das Unternehmen rentiert
sich, da es den Arzt einspart. Das heißt im
Klartext: Chronisch Kranke werden von
Healthways betreut. Sie erhalten von dem
Dienstleister online abrufbare
Informationen, werden regelmäßig von einem
Betreuer telefonisch kontaktiert und
erfahren, wie sie sich selbst therapieren
können. Diese, in der Fachterminologie
„telefonbasierte medizinische Betreuung“
genannt, ist in den USA seit langem
Standard. Callcenter ersetzen Hausärzte.
2008 hat die AOK einen Vertrag mit
Healthways für drei Jahre für die Länder
Baden-Württemberg und Bayern abgeschlossen.
Der Hausarzt ist die beste Medizin
Warum ist die Abschaffung des Hausarztes
beziehungsweise der freien Ärzte ein so
bedeutender Einschnitt in unser
Gesundheitssystem? Warum sollte ein
Aufschrei durch das Land gehen, wenn von
Industrialisierung des Gesundheitswesens die
Rede ist?
Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist
eine einseitig abhängige, das heißt: Der
Patient ist derjenige, der in einem Zustand
zum Arzt kommt, indem er sich selbst nicht
mehr helfen kann und dem Arzt in seiner
Behandlungsmethode vertrauen muss. Gerade
dieses Vertrauen wird durch die finanzielle
Abhängigkeit der Ärzte von Rendite
orientierten Unternehmen gestört. Der Arzt
kann aufgrund der geringen Honorarsätze ohne
Rückgriff auf die IGeL-Leistungen
(individuelle Gesundheitsleistungen) nicht
überleben. (Leistungen also, die der Patient
in Anspruch nehmen kann, die er aber aus
eigener Tasche zahlen muss.) Denn ein
Hausarzt erhält für Hausbesuche nur sieben
bis 17 €, je nach Anzahl der Patienten.
Woher weiß der Patient nun, was wirklich
wichtig für ihn ist, auf welche IGeL
Leistungen er zurückgreifen sollte und
welche Geldschneiderei sind?
Wird das Gesundheitswesen industrialisiert,
was unter anderem durch die Abschaffung der
Hausärzte oder durch den Trend zur
Apparatemedizin forciert wird, wird der
Mensch nicht mehr als Mensch behandelt, ist
der Mensch nicht mehr das Maß aller Dinge,
sondern ist „für das System (…) nur noch in
seiner ökonomischen Ausbeutbarkeit
interessant.“ (Renate Hartwig)
Dass der Mensch nicht zur Ware werden, dass
das Gesundheitswesen nicht auf den freien
Markt geraten darf, hat auch die breite
Bevölkerung erkannt. Der Beweis – 25.000
Teilnehmer am Massenprotest gegen die
Gesundheitsreform am 07.06.2008 im
Olympiastadion, in München.
Renate Hartwig bloggt zum Thema. Lesen Sie
mehr unter:
www.was-sache-ist.de