SPIEGEL ONLINE - 28.
Mai 2007
DIÄTEN-ERHÖHUNG
Über dem Gesetz - die politische Klasse
Bundestagspräsident Lammert will die Diäten erhöhen. Völlig inakzeptabel, sagt
Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim, zumal es nicht das einzige
verwerfliche Vorhaben sei: Die Parteien wollten außerdem mehr Staatsgeld - und
die Kontrolle von Missbräuchen lahmlegen.
Das wäre die Aufgabe des Bundestagspräsidenten: Er sollte die
verfassungswidrigen Teile der Diätenregelung bereinigen, die längst überfällige
Strafbarkeit von Abgeordnetenkorruption durchsetzen und die rechtswidrige
Blockade der Publikation der Höhe von Nebeneinkünften der Abgeordneten endlich
aufheben. Was macht Norbert Lammert stattdessen? Er tut, als gäbe es diese
schwerwiegenden Mängel nicht, und denkt laut über Diätenerhöhungen nach. Doch
das ist noch nicht alles. Auch die Parteien wollen mehr Staatsgeld, und
gleichzeitig planen sie in aller Stille, die Kontrolle von Missbräuchen
lahmzulegen.
ZUR PERSON

DDP
Hans Herbert von Arnim ist Professor für Öffentliches und Verfassungsrecht an
der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Öffentlich
bekannt wurde er durch zahlreiche Bestseller, in denen er Politiker und Parteien
kritisierte und mehr direkte Demokratie forderte. Dass die steuerfreie
Kostenpauschale von Bundestagsabgeordneten von monatlich 3720 Euro
verfassungswidrig ist, rügen Fachleute seit langem. Bisher fehlte es allerdings
an einem einschlägigen Urteil. Doch das wird sich jetzt ändern: Seit einigen
Monaten befasst der Bundesfinanzhof sich mit der Pauschale und hat dem
Bundesfinanzministerium und dem Bundestag eine Fülle peinlicher Fragen gestellt,
in denen klar durchscheint, dass er die Pauschale für verfassungswidrig hält und
eine entsprechende Entscheidung zu erwarten ist.
Die Korruption von Parlamentariern ist in Deutschland praktisch straflos. Das
nötige Gesetz dagegen müssten die Abgeordneten selbst erlassen. Die aber wollen
von ihren unzeitgemäßen Privilegien nicht lassen. Sie können praktisch von
jedermann Geld oder andere Vergünstigungen entgegennehmen, ohne den Staatsanwalt
fürchten zu müssen. Das will eine UN-Konvention ändern, die schon über 90
Staaten ratifiziert haben. Doch der Bundestag sträubt sich gegen ihre
Ratifikation.
Regelrechter Gesetzesbruch
Und einen regelrechten Gesetzesbruch übergeht der Bundestagspräsident mit
Stillschweigen: Seit mehr als einem Jahr müsste er die Höhe der Nebeneinnahmen
von Abgeordneten veröffentlichen. So steht es im neuen Abgeordnetengesetz, das
der Bundestag im Jahr 2005 verabschiedet hat. Doch Lammert ignoriert das Gesetz,
weil die Sache beim Verfassungsgericht anhängig ist. Dieses Nichtstun ist ein
krasser Rechtsverstoß - und das vom zweiten Mann im Staat! Lammert dürfte den
Vollzug des Gesetzes nur aussetzen, wenn das Bundesverfassungsgericht eine
dahingehende einstweilige Anordnung erlassen hätte. Dies ist aber nicht der
Fall, und eine solche Anordnung war von den Abgeordneten, die gegen das Gesetz
klagen, auch gar nicht beantragt worden.
Die Parteien wollen sich ebenfalls bedienen. Auch sie machen die unerwartet
sprudelnden Steuergelder sinnlich. In aller Stille haben ihre Schatzmeister -
wie mir bekannt geworden ist - bereits eine massive Aufstockung der
Staatsfinanzierung abgesprochen, offenbar in einer Höhe, die sogar über das
rechtlich zulässige Maß hinausgeht. Die Parteien sollten lieber darüber
nachdenken, den Vorschlag der von Bundespräsident von Weizsäcker einberufenen
Kommission von unabhängigen Sachverständigen zur Parteienfinanzierung endlich
umzusetzen. Sie fordert, die Bemessungsmaßstäbe so festzulegen, dass "die
Staatsleistungen insgesamt in einigem Abstand unterhalb der absoluten Obergrenze
verbleiben", das heißt: deutlich niedriger ausfallen als bisher.
Hinzu kommt: Unzulässige Spenden sollen demnach offenbar nicht mehr
"unverzüglich" der Verwaltung gemeldet werden müssen, um Strafsanktionen zu
vermeiden. Das gäbe den Parteien die Möglichkeit, in Zukunft solche Spenden erst
zu melden, wenn sie merken, dass ihnen die Verwaltung auf die Schliche zu kommen
droht.
Wie immer, wenn die politische Klasse in eigener Sache mauschelt, bleibt
Öffentlichkeit die einzige Kontrolle. Nichts fürchten die Abgeordneten und die
Schatzmeister der Parteien mehr.
Quelle:
http://www.spiegel.de
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