Korruption - ein Kavaliersdelikt? |
Schadensbegrenzung als einzige Möglichkeit |
Korrupt bis auf die Knochen
Eingangs ein Versuch zur Definition des Korruptionsbegriffes: Erringung
von Vorteilen meist finanzieller Art für Einzelpersonen oder bestimmte
Gruppen zu Lasten bzw. auf Kosten anderer, schlimmstenfalls der
Allgemeinheit durch nach allgemeinem, aktuellen gesellschaftlichen
Verständnis unlautere bzw. unmoralische oder illegale Vorgehensweisen,
die ggf. auch verschleiert werden. Einverstanden?
Beispiele aus dem aktuellen Alltag in Deutschland - mit Anklängen
aus dem globalen Kontext - machen erstaunlich klar, wie Korruption
selbstverständlicher Bestandteil unseres Akzeptanzverhaltens geworden
ist, sogar z.T. mit einer anerkennenden Süffisanz, wenn persönlicher
Erfolg der eigentlich doch amoralisch Handelnden sichtbares Ergebnis
ihres Korruptionsverhaltens ist. Korruption als Kavaliersdelikt?
- Widersinnig erscheint das Ganze, wenn man dagegen die in Deutschland
übliche Ächtung erfolgloser Unternehmer stellt: wer ein - legales! -
geschäftliches Desaster erlebt hat, bekommt so schnell keinen Fuß mehr
auf die Erde, von der Kreditbewilligung angefangen. Wer aber durch
bewußte Verschleierung - Datenkorruption - den Konkurs
verschleppt (oder beschleunigt), gewinnt mitunter erhebliche finanzielle
Vorteile.
In dieser Beispielreihe steht auch BenQ, zusammen mit den aktuell
bekannt gewordenen Schmiergeldzahlungen von über 200 Mio. € bei Siemens;
die Anonymität des Firmenlogos schützt die Verantwortlichen, aber die
"Unschuld" ist nur eine juristisch bedingte Vermutung.
In der Politik ist als Verschleierungsbeispiel die breite - scheinbare -
Hickhackdiskussion um die Gesundheitsreform zu benennen:
Ablenkung von der eigentlichen Problematik der eklatanten
Arbeitslosigkeit, die in dieser extremen Situation vor drei
Generationen den Nährboden für die hoffentlich überwundene braune
Vergangenheit geliefert hat: die Entscheidungsträger klammern sich mit
diesem Verhalten an die mit Einfluß - sprich: auch Einkommen -
verbundene Macht, ohne Legitimation durch Ideen und Beschlüsse zur
Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Durch die Diskussion über die
Gesundheitsreform - wo liegt eigentlich das Problem? - wird
verschleiert, daß zur Aufrechterhaltung der politischen Strukturen die
seit hundert Jahren stärksten Eingriffe in die Einkommensverhältnisse
der Bürger durchgeführt wurden: eine Rückführung der Errungenschaften
der Gewerkschaften auf ein katastrophales Niveau! Z.B. Erhöhung der wöc
hentlichen Arbeitszeit, Kürzung der Einkommen von z.B. mehr als der
Hälfte der Berliner um über zehn Prozent, Abschaffung gesetzlicher
Feiertage, Einführung der ärztlichen Praxisgebühr, "Abschöpfung" im
Rahmen der Euro-Umstellung, Erhöhung der Kraftstoffkosten, Erhöhung der
Mehrwertsteuer etc. Wo aber bleibt die geforderte und auch von der
Regierung selbst in Aussicht gestellte Leistung der gewählten
Top-Staatsdiener: das Programm samt Umsetzung zur Schaffung von
Arbeitsplätzen? - Kunkel hatte vom preußischen König die Aufgabe
bekommen - und dafür ein hohes Einkommen bezogen - künstlich Gold
herzustellen; er arbeitete sein Leben lang daran, aber der preußische
König mußte auf andere Einfälle zur Aufbesserung des Staatseinkommens
zurückgreifen. - Das heutige Kunkeln - oder Kungeln? - in der Politik
erinnert auch an die zweite Maßnahme des preußischen Königs, der seinem
Finanzminister das Gehalt auf das einem einfachen Bürger zur Verfügung
stehende Maß kürzte, als dieser zur Verbesserung der Steuereinnahmen
vorschlug, "die Steuerlast auf die größte Zahl der Untertanen zu
verteilen, die in abhängiger Beschäftigung bei geringem Einkommen
stünden, da man hierauf den Zugriff habe". Unseren Politikern ist es
heute schlechterdings unvorstellbar, ggf. eine entsprechende Tortur
persönlich erfahren zu müssen: HARTZ IV für Münte? - Wie ist es
zu bezeichnen, wenn das Kernproblem "Arbeitslosigkeit" nicht gelöst
wird, obwohl andere ähnliche Volkswirtschaften - z.B. Großbritannien
- gleichzeitig Vollbeschäftigung haben? Unsere gut bezahlten
Politiker schaffen es nicht, diesen Wunschzustand auf Deutschland zu
übertragen. Das Gaudi der Fußballweltmeisterschaft war schön, aber schon
die Römer sprachen von "Brot und Spielen": "Brot" hat Priorität. Wir
brauchen für vier Millionen Menschen Arbeitsplätze! Un d dann Spiele und
Reformen; in der Logikkette aller Maßnahmen muß die Zielsetzung
"Beschäftigung" erkennbar sein; nicht nur als exklusives
Lippenbekenntnis, denn das wäre crony Verschleierung!
Grauenvolle Resultate des kritisierbaren Verhaltens von Politikern haben
sich im Fall Barschel des in einer "Affaire" umgekommenen ehemaligen
Ministerpräsidenten (CDU) von Schleswig-Holstein ergeben; hieran
"stolperte" letztlich auch Engholm (SPD). - Besuche von
VW-Betriebsratsmitgliedern in brasilianischen Freudenhäusern mit
Absegnung und Finanzierung durch den VW-Vorstand Hartz nehmen sich
dagegen wie Bagatellfälle aus.
Ein weiteres Beispiel einer Verschleierung wäre es auch, wenn
Gewerkschaftsfunktionäre in Aufsichtsräten „mitbestimmend“ tätig sind,
hierbei aber ihr Insiderwissen zu Spekulationen bei
Aktienkäufen nutzten. Also Korruption!
Oder Nutzung des Scheines der Sportlichkeit zur Bereicherung durch
Manipulation seitens Beteiligter: Doping, Absprachen zwischen Aktiven
und/oder Organisatoren bzw. Entscheidungsträgern - wie Schiedsrichtern,
Ringrichtern usw.
Auch wenn gerichtsnotorisch definiert ist, daß dreißig Mio. €
Sonderzahlungen an den bereits hoch dotierten CEO Esser nicht
strafverfolgungsrelevant sind: das Volksempfinden sieht hier
"Korruption".
Überraschend (und unlauter?) ist es, wenn Exekutive oder Legislative
eines Bundeslandes Wohnungsbau- und Bankgesellschaften
dieses Bundeslandes kraft des durch Miteigentum gegebenen Einflusses zur
Ausgabe günstiger Aktien befähigen, die von Regierenden und Abgeordneten
zum eigenen Vorteil erworben werden. Also Korruption!
Zur Rubrik „Sicherung der eigenen Position durch Propagierung
scheinbarer Erfolge“ zählt es, wenn Personalkostenreduzierung dadurch
erreicht wird, dass in Berlin z.B. die Bibliotheksmitarbeiter in eine
neu geschaffene Stiftung eingegliedert werden und damit völlig aus der
Personalstatistik herausfallen; die Stiftung aber wiederum gehört
voll der Öffentlichen Berliner Hand und verursacht – wegen der Schaffung
neuer Leitungsgremien – in der neuen Struktur mehr Kosten als vorher.
Korruption?
Vorruhestand im Öffentlichen Dienst soll – wie überhaupt – dafür
sorgen, dass auf den vorzeitig freiwerdenden Stellen neue Mitarbeiter -
aus dem Heer der Arbeitslosen oder der Berufsanfänger – auf dem ersten
Arbeitsmarkt etabliert werden können: wo findet das statt? Ist nicht
vielmehr durchgängig eine Streich- und Einsparaktion die Folge, wenn
eine Mitarbeiterstelle durch Vorruhestandsregelung „frei“ wird?
Korruption!
Mittel des Europäischen Sozialfonds werden zur Qualifizierung und
Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt eingesetzt. Als Methode
gilt hier die Unterstützung regionaler Aktivitäten eines Bundeslandes,
das aus öffentlichen Mitteln die Hälfte der Bezahlung der von der
Maßnahme betroffenen Personen leistet. Was ist, wenn die regionale Seite
nur Sachleistungen (z.B. Arbeitsplatz) beisteuert und so den Vorteil der
Personalaufstockung beansprucht, den Mitarbeitern tatsächlich aber nur
das vom ESF stammende Geld auszahlt? Korruption?
Geschäfte mit sich selbst zu machen, ist für leitende Personen
des Öffentlichen Dienstes nicht zulässig, da sich hieraus persönliche
finanzielle Vorteile ergeben können. Die Grenzen dieser Zulässigkeit
sind allerdings fließend. Muß das sein, das diese Grauzonen im
Immobiliengeschäft und in der Beratungsbranche wabernde
Korruptions-„Gerüche“ erzeugen? In einer Anfrage im Berliner
Abgeordnetenhaus hat sich vor Jahren z.B. herausgestellt, dass
Angehörige des Öffentlichen Dienstes Mitinhaber privater Gesellschaften
waren, die auch von Aufträgen der Öffentlichen Hand profitierten. Nur
über Gremienwahlen ist hier ggf. ein Korrektiv vorhanden.
Die wahrlich großen Fische aber ergeben sich m.E. aus den der
Öffentlichen Hand gewährten Krediten z.B. im Rahmen der
Anschlusssituation der Neuen Bundesländer: Die Banken erhalten seit der
Wiedervereinigung bis heute für Kredite von jährlich ca. 100 Mrd.
€ vom Staat garantierte Zinszahlungen (durchschnittlich also 5 Mrd. €
p.a.). Wo bleibt das Mitspracherecht des Staates bei der Verwendung
dieser Zinseinnahmen?
Bei Auflage des Fonds "Aufbau Ost" wurden nach der Wende
zahlreiche Mittel zur Weiterqualifizierung freigegeben, mit denen sich
tatsächlich einige "Institute" und Institutionen aufblähend derart
ausstatteten, daß sie z.T. noch heute davon zehren, obwohl der
dazugehörige Leistungsumfang längst nicht mehr erbracht wird. Wird eine
derartige Situation kritisch, werden die hierfür verantwortlich
zeichnenden Vereine in GmbHs umgewandelt, die - sozusagen zur doppelten
Absicherung - im verschärften Zweifelsfall in Konkurs gehen. Geht alles
gut, übernehmen die ehemals Verantwortlichen des Vereins in der neu
erstandenen GmbH nach ausreichender Frist wieder Verantwortung und die
damit verbundenen Einkünfte.
3 % der Bevölkerung sind in unserer deutschen Demokratie in Parteien
organisiert, die trotz dieser geringen Akzeptanz wegen ihrer
demokratisch legitimierten Existenzberechtigung Öffentliche Mittel
erhalten, im Proporz der erhaltenen Wählerstimmen. Aus diesen drei
Prozent rekrutieren sich alle Politiker unseres Landes: unfaßbar, daß
sich 97 % von diesen 3 % vorschreiben lassen, wer gerwählt werden soll;
schlimmer noch: daß aus diesen drei Prozent diejenigen selektiert
werden, die die für alle gültigen Gesetze im Bundestag und Bundesrat
beschließen! - Diese Situation ist aber allgemein akzeptiert - oder
einfach nur nicht bewußt? Gehen deshalb mehr als 20 % der
Wahlberechtigten üblicherweise nicht zur Wahl? Oder sind die Fernbleiber
einfach nur desinteressiert? Wo liegt eigentlich die Grenze? Ist die
Wahl auch gültig, wenn nur drei Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl
gehen? - Bei Gremienwahlen Öffentlicher Einrichtungen kann es
schon vorkommen, daß eine Wahl gültig ist, auch wenn aus einer der
wahlberechtigten Gruppen kein einziger Wahlberechtigter - ggf. aus
Protest - an der Abstimmung teilnimmt. Hier kommt es nur auf die
Unverfrorenheit der Kandidaten an, ob diese Wahl zu einem Wahlergebnis
mit Personenbenennung führt: man stelle sich vor, daß der Präsident
einer Hochschule in einem derartigen Fall ohne Zustimmung eines einzigen
Studenten die Leitung einer Hochschule übernimmt - und dieses Amt auch
tatsächlich über eine volle Amtsperiode ausübt, trotz der Ablehnung
durch die komplette Studentenschaft - immerhin mehr als 90 % aller
Hochschulangehörigen. So etwas ist tatsächlich möglich. Wer sucht wird
sogar in der aktuellen Szene fündig.
Bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen beteiligen sich nur ein
Drittel der Wahlberechtigten: die größte Demokratie der Welt ist
offensichtlich des öfteren nicht direkt glücklich mit dem jeweils
gültigen Wahleregebnis; bei höherer Beteiligung des "Wahlvolkes" könnte
der hintergründige Beziehungseinfluß einzelner Gruppen (schon auf der
Dollarnote ist ein Freimaurerzeichen symbolhaft dargestellt) erheblich
relativiert werden!
Mitwirkung jedes Einzelnen zur Schadensbegrenzung ist gefragt und
bietet eine der wenigen - vielleicht die einzige - Möglichkeiten, Moral
und Demokratie wirksam zu fördern. Mißstände müssen aber benannt werden,
damit Erkenntnisse wachsen und Gegenmaßnahmen getroffen werden können.
Vielleicht wird im Neuen Jahr ja alles besser.
- Autor: Wolfgang Jahnke
E-Mail:
redaktion@weltexpress.info
Abfassungsdatum: 03.01. 2007
Foto: Weltexpress
Verwertung: Weltexpress
Quelle: www.weltexpress.info
Update: Berlin, 03.01. 2007
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